Sehr geehrte Damen und Herren Aktionäre,

2020 war ein außergewöhnliches Jahr. Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft mit voller Wucht und unvorbereitet getroffen. In vielen Ländern der Welt kam das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen. Nach wie vor stellt uns die Pandemie alle vor gewaltige Herausforderungen – ökonomisch, politisch und gesellschaftlich. Um dieser Ausnahmesituation zu begegnen, hatten und haben für uns drei Dinge oberste Priorität:

  • der Schutz und die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
  • das Aufrechterhalten der Produktion und die Lieferung an unsere Kunden.
  • die langfristige Sicherung unseres Unternehmens.

Heute, ein Jahr nach diesem Schockereignis, können wir feststellen: Es ist uns bisher gelungen, WACKER gut durch diese Zeit zu steuern. Dass wir das Räderwerk des Unternehmens unter diesen kritischen Bedingungen ununterbrochen am Laufen gehalten haben, ist das Verdienst unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie haben eine starke Leistung vollbracht. Für diesen außerordentlichen Einsatz und die gezeigte Flexibilität, aber auch für die Disziplin und das Verantwortungsbewusstsein beim Schutz vor dem Coronavirus danke ich jedem Einzelnen auch im Namen meiner Vorstandskollegen.

Wenn die Welt fast zum Stillstand kommt, hinterlässt das auch bei WACKER Spuren. Mit 4,69 Milliarden Euro liegt der Umsatz 4,8 Prozent unter dem Vorjahr. Besonders im 2. Quartal 2020 verzeichneten wir einen starken Umsatzeinbruch. In der zweiten Jahreshälfte konnten wir einen Großteil davon durch eine steigende Nachfrage nach unseren Produkten wieder aufholen. Beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen () sind wir mit 666,3 Millionen Euro 14,9 Prozent unter dem Vorjahr geblieben. Allerdings haben wir im Jahr 2019 im EBITDA einen Sonderertrag aus Versicherungsleistungen in Höhe von 112,5 Millionen Euro verbucht. Bereinigt um diesen Betrag ist das EBITDA im Jahresvergleich trotz Corona nur leicht um 0,7 Prozent zurückgegangen. Sehr positiv ist: WACKER weist nach einem Verlust im Jahr 2019 mit 202,3 Millionen Euro wieder einen Jahresüberschuss aus.

Wie gut wir dieses schwierige Geschäftsjahr bewältigt haben, zeigt sich auch an anderen Finanzkennzahlen. WACKER legt schon immer sein Augenmerk auf stabile Finanzen. Sie sind die Grundlage für Investitionen, für profitables Wachstum und damit für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Im abgelaufenen Geschäftsjahr haben wir unser Investitionsbudget an der wirtschaftlich herausfordernden Situation ausgerichtet. Aus diesem Grund haben wir die Investitionen auf rund 225 Millionen Euro zurückgefahren, ohne uns dadurch Chancen für die Zukunft zu verbauen. Mit dem konsequenten Abbau von Vorräten haben wir außerdem unser Umlaufvermögen deutlich verringert. Beides hat unseren gestärkt, der sich mit rund 700 Millionen Euro nahezu vervierfacht hat. Der hohe Mittel­zufluss aus dem operativen Geschäft und die Sicherstellung ausreichender Liquidität sind wesentlich dafür verantwortlich, dass unsere Nettofinanzschulden nur noch bei rund 68 Millionen Euro liegen.

Die finanzielle Stabilität des Unternehmens ist die Basis unserer Dividendenpolitik. Sie sieht vor, dass wir etwa 50 Prozent des Nettoergebnisses an Sie, unsere Aktionärinnen und Aktionäre, ausschütten. Aufsichtsrat und Vorstand werden daher der Hauptversammlung im Mai 2021 eine Dividende von 2,00 Euro je Aktie vorschlagen. Das entspricht gut der Hälfte des Jahresergebnisses 2020.

Unser Chemiegeschäft ist der Umsatz- und Ertragsmotor von WACKER. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass wir 2020 im Umsatz nicht gewachsen sind. Niedrigere Durchschnittspreise für Standardsilicone und geringere Absatzmengen auf Grund der Corona-Pandemie haben den Umsatz und das Ergebnis von WACKER SILICONES gebremst. WACKER POLYMERS konnte das dank der robusten Nachfrage aus der Bauindustrie und niedrigerer Rohstoffpreise deutlich steigern. WACKER BIOSOLUTIONS verzeichnete sowohl im Umsatz als auch im EBITDA einen Zuwachs.

Nach zwei schwierigen Jahren hat sich unser Polysiliciumgeschäft 2020 stabilisiert. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Erstens: Die Durchschnittspreise für Solarsilicium sind nicht weiter gesunken.

Zweitens: Wir haben unseren Marktanteil mit Kunden aus der Halbleiterindustrie weiter ausgebaut.

Und drittens: Wir konnten unsere Herstellungskosten deutlich verringern.

Im Ergebnis hat sich das EBITDA auf vergleichbarer Basis um rund 60 Millionen Euro verbessert und war damit leicht positiv.

Neben der Corona-Pandemie hat ein zweites großes Thema das Jahr 2020 von WACKER geprägt: das Programm „Zukunft gestalten“. Die Ziele, die wir damit verbinden, sind klar definiert: schlanke Unternehmensabläufe und Strukturen, stärkere regionale Verantwortung und deutlich niedrigere Kosten. Ab Ende 2022 wollen wir 250 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Die Hälfte dieser Summe kommt aus Sachkosten, die andere Hälfte aus Personalkosten. Insgesamt fallen weltweit rund 1.200 Stellen weg, davon etwa 1.000 in Deutschland. Nach intensiven Verhandlungen haben wir Ende Oktober 2020 mit den Arbeitnehmervertretern eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet. Darin ist ein sozialverträglicher Stellenabbau vereinbart worden – über Altersteilzeit, freiwillige Abfindungsangebote und natürliche Fluktuation. Ich bin sicher, dieses Programm trägt dazu bei, dem intensiven Wettbewerb in unseren Geschäften und dem Kostendruck erfolgreich zu begegnen.

Das dritte große Thema im Jahr 2020 war der Verkauf unserer Siltronic-Anteile an das taiwanesische Unternehmen GlobalWafers. Nach dem erfolgreichen Börsengang der Siltronic AG im Jahr 2015 und der jetzt vollzogenen Abgabe unseres Aktienpakets von 30,8 Prozent geht eine mehr als 50-jährige Verbindung zu Ende. Wir sind fest davon überzeugt: Der geplante Zusammenschluss beider Unternehmen festigt die Top-3-Position im Markt für Siliciumwafer.

Corona hat uns gezeigt: Unsere Welt ist noch unberechenbarer geworden, noch ein Stück volatiler. Diese Volatilität wird uns weiter begleiten. Permanenter Wandel ist die neue Konstante. WACKER ist im Wandel geübt. Das haben wir nicht nur im Jahr 2020 bewiesen. Der Mut zu Wandel und Veränderung hat uns stark gemacht. Dieser Mut ist gefragt in schwierigen Zeiten.

Bei aller Vorsicht, die nach wie vor mit Blick auf Corona geboten ist, gehen wir zuversichtlich in das Jahr 2021. Die neue Organisation in unseren Geschäfts- und Zentralbereichen ist seit Anfang des Jahres umgesetzt.

Mit dem Kauf des Plasmid-DNA-Herstellers Genopis Inc. verfügen wir jetzt auf dem wichtigen amerikanischen Markt für biopharmazeutische Produkte über einen eigenen Produktionsstandort. Wir ergänzen damit auch das Produktportfolio von WACKER BIOSOLUTIONS auf dem Gebiet mikrobieller Technologien. Auf unser Know-how auf diesem Gebiet greift auch das Biotechnologieunternehmen CureVac zurück, um bei erfolgreicher Zulassung einen Teil seines mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffkandidaten von uns herstellen zu lassen.

Auch operativ sind wir dynamisch in das neue Jahr gestartet. In allen Geschäftsbereichen verzeichnen wir in den ersten Wochen steigende Umsätze. Insgesamt gehen wir von einem Umsatzwachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich aus. Gegenwind bekommen wir vor allem bei den Rohstoffpreisen, die zurzeit deutlich anziehen. Das wirkt sich auf die EBITDA-Entwicklung aus. Das EBITDA soll gegenüber dem Vorjahr um zehn bis 20 Prozent steigen. Sollte die Dynamik der Wirtschaft im Jahresverlauf noch stärker zunehmen, ergeben sich daraus zusätzliche Chancen. Nachdem wir bewusst unsere Investitionen im vergangenen Jahr zurückgeschraubt haben, werden wir in diesem Jahr wieder mehr investieren. Unser Investitionsfokus liegt dabei auf den Chemiebereichen und auf für Halbleiteranwendungen.

Ein Thema, das wir derzeit mit Sorge betrachten, sind unsere Pensionsverpflichtungen. Sie belaufen sich auf fast 40 Prozent unserer Bilanzsumme. Das sind rund 2,7 Milliarden Euro. Die Ursache dafür kennen Sie alle: die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben wir rund 150 Millionen Euro zusätzlich in die WACKER-Pensionskasse eingezahlt. Geld, das uns für das künftige Wachstum des Unternehmens nicht zur Verfügung steht und uns bei unseren Investitionen einschränkt. Aus diesem Grund arbeiten wir daran, unser System der betrieblichen Altersversorgung grundlegend zu reformieren.

Mit dem Programm „Zukunft gestalten“ haben wir die Voraussetzungen für den weiteren Erfolg von WACKER geschaffen. Wir haben eine klare Strategie. Wir wissen, wo wir hinwollen. Wir setzen stark auf nachhaltige Lösungen – bei unseren Produkten, in unseren Produktionsprozessen und in der Lieferkette. Wir besitzen die richtigen Produkte und wir sind nah an unseren Kunden. Ohne Chemie lassen sich die Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen. Nicht beim Kampf gegen das Coronavirus, nicht beim Klimaschutz, nicht bei der Digitalisierung. Das ist unser Ansporn. Dafür arbeiten wir Tag für Tag.

Erlauben Sie mir zum Schluss ein Wort in eigener Sache. Im nächsten Jahr wird an meiner Stelle mein Vorstandskollege Dr. Christian Hartel Rechenschaft über das Geschäftsjahr 2021 ablegen und Ihnen die Perspektiven des Unternehmens darstellen. Mit Christian Hartel arbeite ich seit mehr als fünf Jahren im Vorstand eng und vertrauens­voll zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass er WACKER weiter konsequent auf Erfolgskurs halten wird. Ich werde mit dem Ablauf der Hauptversammlung am 12. Mai 2021 nach mehr als 38 Jahren aus dem Unternehmen ausscheiden. Für mich war es eine Ehre, WACKER 13 Jahre lang zu führen. Diese Aufgabe war für mich Verpflichtung und Leidenschaft zugleich.

Ein Unternehmen erfolgreich zu lenken, ist nicht allein die Aufgabe eines Einzelnen. Jeder Vorstandsvorsitzende ist immer so gut wie seine Mannschaft – und WACKER besitzt eine hervorragende Mannschaft. Daher danke ich sehr herzlich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie sind es, die mit ihrem Können, ihrem Einsatz und ihrer Leistung einen wesentlichen Anteil am Erfolg des Unternehmens haben. Dafür gebührt Ihnen mein größter Respekt und meine Anerkennung. Für das Vertrauen, das mir in meiner Zeit als Vorstandsvorsitzender entgegengebracht wurde, möchte ich mich bei unseren Kunden und Lieferanten bedanken. Mein Dank gilt auch den Aktionärinnen und Aktionären, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben. Und nicht zuletzt gilt mein Dank dem Aufsichtsrat und den Familiengesellschaftern. Ihr Bekenntnis zu WACKER und ihr langfristig angelegtes Denken und Handeln im Sinne des Unternehmens sind einzigartig.

Es gibt in Zukunft viel zu gestalten – für meinen Nachfolger und das gesamte Team.

Ich bin mir sicher: WACKER wird auf diesem Weg weiter erfolgreich sein.

München, im März 2021

Dr. Rudolf Staudigl
Vorsitzender des Vorstands der Wacker Chemie AG

EBITDA
Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation = Ergebnis vor Zinsen und Steuern und vor Abschrei- bungen = EBIT + Abschreibungen.
Netto-Cashflow
Der Netto-Cashflow ist definiert als Summe aus dem Cashflow der betrieblichen Geschäftstätigkeit und dem Cashflow aus langfristiger Investitionstätigkeit (ohne Wertpapiere).
EBITDA
Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation = Ergebnis vor Zinsen und Steuern und vor Abschrei- bungen = EBIT + Abschreibungen.
Polysilicium
Polykristallines Silicium des Bereichs WACKER POLYSILICON. Hochreines Silicium zur Herstellung von Siliciumwafern für die Elektronik und Solarindustrie. Rohsilicium wird in das flüssige Trichlorsilan überführt, aufwändig destilliert und bei 1.000 Grad Celsius in hochreiner Form wieder abgeschieden.

Vorjahresvergleich