Wie kann sich Logistik auf verändertes Bestellverhalten, neue Produktsortimente und unterschiedlichste Transportmöglichkeiten einstellen? |
Blick in das moderne Umschlag- und Logistikzentrum. Es bietet Platz für rund 23.000 Paletten. Das integrierte Brandschutzsystem reduziert den Sauerstoffgehalt der Luft und sorgt dafür, dass ein Feuer erst gar nicht entstehen kann. |
WACKER hat sein neues Umschlag- und Logistikzentrum als ein sehr effizientes und flexibles System konzipiert. |
|
Ein wenig wirkt es wie bei dem Computerspiel „Tetris“, bei dem der Spieler unterschiedlich geformte Blöcke so platzieren muss, dass lückenlose Reihen entstehen. Im neuen Umschlag- und Logistikzentrum am Rande des WACKER-Werks in Burghausen passen die Mitarbeiter Paletten, die mit beigen Fässern, kompakten Eimern und strahlend weißen Säcken beladen sind, zentimetergenau in Übersee-Container und LKW-Laderäume ein. Sie gleichen Niveauunterschiede mit Spanplatten aus und stützen die Produkte mit Leerpaletten, verzurren die Waren, fügen airbagähnliche Säcke zum Schutz ein. Großer Aufwand, den Dr. Thomas Bronnert aber gut begründen kann. „Wir sehen die Logistik als Teil der Produktqualität“, sagt der großgewachsene Logistikleiter, der vor zwölf Jahren in das Unternehmen einstieg. „Die Waren müssen vor allem sicher und unversehrt ankommen, aber auch einen guten optischen Eindruck auf den Kunden machen. Wenn die Palette aus dem Container kommt, ist das oft der erste Kontakt mit unserem Produkt.“ |
Der erste Eindruck zählt: die Waren sollen nicht nur unversehrt ankommen, sondern den Kunden auch optisch ansprechen. |
Die Verpackungskunst ist Alltag im modernen und 2008 erweiterten Umschlag- und Logistikzentrum. „Aus einem historisch gewachsenen Chemiestandort ist eine Logistikdrehscheibe für die Chemie geworden“, so drückt es Bronnert aus, der stolz auf diese Leistung und die der rund 250 Kollegen in der Logistik ist. Abzulesen ist die neue Dynamik an zwei simplen Zahlen: Die Umschlaggeschwindigkeit, also die Häufigkeit, in der sich der komplette Lagerbestand dreht, erhöhte sich von zwölf auf 18 Mal im Jahr. „Das Umschlag- und Logistikzentrum ist schneller und kann sich besser auf Marktentwicklungen einstellen.“ Geplant war der große Umbau schon vor der Jahrtausendwende. Damals hatte der damalige Sprecher der Geschäftsführung und heutige Aufsichtsratschef Dr. Peter-Alexander Wacker die Idee, die Prozesse im Werk zu optimieren. Das Unternehmen stellte komplett auf SAP um und stellte sämtliche Abläufe auf den Prüfstand. Für die Logistik hieß das, den inner- und außerbetrieblichen Verkehr zu verbessern. Den Transport innerhalb des Werks verlagert WACKER seither immer mehr von der Werkbahn auf die Straße. „Die Schienen waren sehr eng, es musste viel rangiert werden und das Ganze dauerte recht lange“, erinnert sich Bronnert, der aus dem großen Fenster seines schlichten Büros auf die Trasse der Werkbahn blickt. Zudem haben die Logistiker die innerbetriebliche An- und Ablieferung entzerrt. Im alten Lager liefen die Container- und LKW-Transporte über dieselben Tore. Heute kommen die Waren aus verschiedenen Werkteilen per Wechselbrücke an 20 Toren in das neue Lager und werden dort per Gabelstapler ins Hochregal verfrachtet. In einem zweiten Bereich stehen die Waren zur Auslieferung bereit. Auf der einen Seite docken an 18 Toren die voluminösen Sattelschlepper an, auf der anderen an zwölf Toren die Übersee-Container, die WACKER per Zug einmal pro Werktag zu den Seehäfen in Bremerhaven und Hamburg transportiert. „Damit sind wir deutlich effektiver geworden“, sagt Bronnert, während er einen Lastwagen beobachtet, den der Speditionsfahrer und ein WACKER-Mitarbeiter gerade gemeinsam beladen. „Wir binden die Spediteure aus Sicherheitsgründen in die Arbeit mit ein. Die Zusammenarbeit wird dadurch effizienter“, erklärt Bronnert. Die Durchlaufzeit eines LKW von der Einfahrt über das Beladen bis zur Ausfahrt hat sich durch eine moderne Pfortenabwicklung und die Prozessoptimierung im Lager deutlich reduziert. „Heute erreichen wir Durchlaufzeiten von zum Teil unter einer Stunde.“ |
Logistikdrehscheibe Burghausen: Die Umschlaggeschwindigkeit hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht |
|
Dr. Thomas Bronnert leitet die Logistik bei WACKER in Burghausen. Der 43-Jährige zweifache Vater begann direkt nach seiner Promotion als Chemiker bei WACKER. |
Großen Einfluss auf die Logistik hatten auch die veränderte Produktpalette und das kräftige Wachstum des Unternehmens. Noch vor einem Jahrzehnt transportierte WACKER auch Massenware wie Natronlauge oder Salze für das mittlerweile verkaufte PVC-Geschäft in großen Tank- und Kesselwagen. Der Fokus liegt nun auf spezialchemischen Produkten, die im Volumen deutlich kleiner sind – dennoch hat WACKER im Jahr 2008 mit mehr als 700.000 Tonnen das Transportaufkommen aus dem Jahr 2000 fast wieder erreicht. |
|
Der Vorteil der neuen Produkte, die zum Großteil auf Paletten im 32 Meter hohen Hochregallager liegen: Sie eignen sich gut für den Transport in Containern. Außerhalb des Werks setzt das Unternehmen daher stark auf den Transportweg mit der Bahn. Er ist umweltfreundlicher, wirtschaftlicher und nicht zuletzt auch zuverlässiger. „Wir haben im Schnitt sicherlich 18.000 LKW-Fahrten pro Jahr auf die Schiene gebracht“, sagt Bronnert, während nur 30 Meter entfernt gerade eine Lok an einige Güterwaggons ankoppelt. „Wir beladen ungefähr dreimal so viele Container wie 1999 und sorgen damit für einen der bestausgelasteten Güterzüge in Deutschland.“ In den beiden Logistikzentren am Standort Burghausen mit ihren 75 Mitarbeitern wird ein Drittel aller WACKER-Produkte umgeschlagen, ein weiteres Drittel bringen die 42 Betriebe in Burghausen selbst auf die Straße oder Schiene, der Rest ist Bulkware, die per Tankwagen an die Kunden geht. Auf Grund dieser Aufteilung bestimmten die Logistiker die Größe des Umschlag- und Logistikzentrums in enger Zusammenarbeit mit den einzelnen WACKER-Betrieben auf dem Werkgelände. Zwar versuchen alle Betriebe möglichst wenig Lagerbestand aufzubauen – ganz ohne geht es aber nicht. „Manche Anlagen können wir aus produktionstechnischen Gründen nur dann optimal betreiben, wenn sie z.B. mit 100 Tonnen Produkt voll ausgelastet sind“, erklärt Bronnert. „Wenn ein Kunde nur 20 Tonnen bestellt, geht der Rest ins Lager.“ Ebenso sorgen die Rüstzeiten bestimmter Anlagen bei Produktwechseln dafür, dass für kurzfristige Bestellungen Produkte auf Lager liegen müssen. |
Umweltfreundlich, wirtschaftlich und zuverlässig: WACKER setzt stark auf den Schienentransport. |
Die Logistik ist sehr flexibel geplant, wenn es um Schichten, Arbeitsanfall und mögliche Verarbeitungsmengen geht. Bronnert und Kollegen kommen deswegen auch mit der aktuellen Wirtschaftskrise zurecht, die für viel kürzere Vorläufe für den Versand sorgt. „Waren früher einige Wochen Standard, bestellen viele Kunden heute kurzfristig nach Bedarf, um nicht so viel Kapital zu binden“, sagt Bronnert. Das erhöht gleichzeitig auch die Anzahl der Bestellungen – zusätzliche Komplexität für die Logistikmitarbeiter von WACKER. Für die Zukunft sind die Logistiker bei WACKER gut gerüstet. Zumal ein weiterer großer Schritt ansteht: 2012 solle ein öffentliches Container-Terminal entstehen, das WACKER gemeinsam mit anderen Unternehmen aus dem regionalen Chemiedreieck, aber auch branchenfremden Firmen aus der Region weitere Möglichkeiten eröffne, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, erzählt Bronnert. |
Flexibilität ist Trumpf: Immer kurzfristigere Bestellungen steigern die Komplexität in der Logistik. |
|
1 Die fertigen Waren werden in unterschiedlichste Gebinde verpackt. Der so genannte Intermediate Bulk Container fasst 1.000 Liter und löst mehr und mehr die Paletten mit vier Fässern zu je 200 Liter ab. Das bedeutet mehr Produkt auf der gleichen Ladeeinheit. 2 Der große Blocklagerbereich liegt zwischen den Verladezonen für Lastwagen und Container – kurze Wege für höchstmögliche Effizienz. 3 Im Terminalbereich werden mit Portalkran und Reachstacker jährlich mehr als 10.000 beladene Container umgeschlagen. |