Der Weg in die Zukunft

Shanghai, China: Seit 20 Jahren sind wir auf dem chinesischen Markt aktiv. Mit dem Umzug in die neue Unternehmenszentrale in Shanghai, in der auch die lokalen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zusammengefasst sind, ist WACKER endgültig im Reich der Mitte zu Hause. In Zukunft geht es darum, den Markt noch tiefer zu durchdringen – zum Beispiel in der Bauindustrie.

Die Pionierjahre sind vorbei

Als Lars Nordblom 2012 für WACKER nach Shanghai zurückkehrte, war sein erster Gedanke: Die Baukräne sind weg. Der Schwede hatte schon einmal zwischen 2002 und 2005 in Shanghai gearbeitet. Damals sei die Stadt eine einzige, unvorstellbar große Baustelle gewesen, erinnert er sich. Und nun? Ist der Bauboom beendet? Nein, er hat sich nur verlagert, in andere Millionenstädte des riesigen Landes.

Es hat sich noch etwas geändert, seit Lars Nordblom das zweite Mal in China ist: die Konkurrenz. Beim Geschäft mit Dispersionspulvern, das er leitet, ist WACKER nach wie vor klarer Marktführer. Aber nun gibt es statt fünf Konkurrenten mehr als 90. Zahlreiche einheimische Hersteller haben den internationalen Unternehmen Marktanteile abgenommen. „Der Wettbewerb ist so hart wie nirgendwo sonst“, sagt Nordblom. Die Pionierjahre, in denen es nur um Wachstum ging, sind vorbei. WACKER macht inzwischen ein Fünftel des Konzernumsatzes in China einschließlich Taiwan. 2013 waren das 1,07 Milliarden Euro. Seit WACKER vor 20 Jahren mit zwei Niederlassungen sein China-Geschäft startete, sind 500 Millionen Euro in moderne Produktionsanlagen, in Vertrieb, Verwaltung sowie später auch in Forschung und Entwicklung geflossen.

Schneller wachsen als die Konkurrenz

Nun geht es darum, genau zu überlegen, in welchen Segmenten des Marktes WACKER noch mehr erreichen kann, welche Anwendungen die größte Zukunft haben. Differenzierung heißt das Zauberwort. Mit eigens für den chinesischen Markt entwickelten Produkten, zum Beispiel für das kostengünstigere Preissegment am Bau, sowie mit neuen Kunden und neuen Absatzkanälen will WACKER Greater China auch in den nächsten Jahren schneller wachsen als die Konkurrenz.

Wer einen Einblick in die chinesische Baubranche bekommen will, sollte in dem kleinen, verglasten Büro von Raymond Zhou vorbeischauen. Der Marketing-Experte hat 1.400 chinesische Mörtelproduzenten über ihr Geschäft und ihre Gepflogenheiten befragt. Die Studie bestätigt, was Zhou und seine Kollegen schon geahnt hatten: „Wir können kostengünstige Produktalternativen nicht ignorieren.“ Bei hochwertigen Dispersionspulvern, sagt Zhou, ist WACKER mit einem Marktanteil von mehr als 40 Prozent Marktführer. Das sei großartig. Doch im unteren Preissegment bestehe mit nur knapp über zehn Prozent Aufholbedarf. Dabei werde der Markt in diesem Bereich in den nächsten Jahren deutlich stärker zulegen, meint Zhou.

Gebaut wird in der Provinz

Zhous Studie erklärt auch, warum sein Kollege Lars Nordblom bei der Rückkehr nach Shanghai keine Baukräne mehr gesehen hat. In Megastädten wie Shanghai, Peking und Guangzhou bremst die Regierung das Wachstum. Gebaut wird stattdessen in der Provinz. Jahr für Jahr ziehen 15 Millionen Menschen vom Land in die Städte, zum Beispiel nach Changshu oder Shantou. Millionenstädte, die außerhalb Chinas keiner kennt. Dort ist ein attraktiver Preis wichtiger als herausragende Qualität. „Wir bauen für die nächsten 20 bis 30 Jahre, nicht für die Ewigkeit“, sagt Raymond Zhou.

70 Prozent Wachstum

Die Kollegen in der Entwicklung haben auf Zhous Marktstudie schnell reagiert. 2012 kam das erste Dispersionspulver speziell für dieses Preissegment auf den Markt. „Für den Preis ist das eine sehr gute Qualität“, sagt Nordblom. 2013 hat WACKER dadurch in diesem Bereich 70 Prozent mehr Dispersionspulver verkauft als im Jahr zuvor. Der Erfolg ist so groß, dass weitere kostengünstige Produkte in der Entwicklung sind.

Weil es in diesem Segment entscheidend auf den Preis und die Verfügbarkeit in der Fläche ankommt, läuft der Vertrieb über Distributoren. Außerdem will Zhou die Produkte in Baumärkte und das mächtige Onlineportal Taobao bringen. „Wir wollen näher an die lokalen Kunden heran“, sagt er. Bis 2018 soll der Marktanteil von WACKER auf über 30 Prozent steigen.

„Niemand wartet auf uns“

Auf lange Sicht werde das untere Preissegment allerdings verschwinden, glaubt Lars Nordblom. „Wenn wir heute in die Restaurants gehen, in denen wir uns früher mit anderen ausländischen Kollegen getroffen haben, sind dort fast nur noch Chinesen“, erzählt er. Nicht nur den Superreichen, auch der Mittelschicht gehe es gut. „Es ist ein Bewusstsein da für Lebensqualität und schöne Dinge“, sagt er. „Das Land wird sich auf dem Weg weiterentwickeln, den wir schon in vielen anderen Ländern gesehen haben.“ Der große Unterschied: der extrem harte Wettbewerb. Sein Kollege Raymond Zhou ergänzt: „Niemand wartet auf uns. Deswegen brauchen wir eine klare Strategie.“

Bild vergrößernPolymerstandort Nanjing (Foto)

Am Polymerstandort Nanjing will WACKER seine Produktionskapazität für Dispersionspulver verdoppeln.

Bild vergrößernWACKER Polymere (Foto)

Hauptabnehmer für die Polymere ist die chinesische Baubranche.

Bild vergrößernProduktionskomplex in Nanjing, China (Foto)

Der Produktionskomplex in Nanjing ist einer der größten seiner Art in China.

Bild vergrößernPolymer-Team in Shanghai (Foto)

Das Polymer-Team in Shanghai hat einen klaren Plan für die Zukunft.

Enormer Nachholbedarf

Ganz oben steht dabei ein Produkt, das auf den ersten Blick unscheinbar wirkt: Fliesenkleber. Wenn Raymond Zhou allerdings berichtet, dass in China jährlich neun Milliarden Quadratmeter Fliesen hergestellt werden, vor allem für chinesische Böden und Wände, wird die Geschichte mit dem Fliesenkleber deutlich attraktiver. Bisher verwendeten die Handwerker Sand, Zement und irgendeinen Billigkleber, um ihre Fliesen an die Wand zu kleben. Importierter Fliesenkleber war ihnen schlichtweg zu teuer, sagt Zhou. Daher war bisher nur ein Zwanzigstel der Kleber polymermodifiziert. Der Nachholbedarf ist enorm. Bei immer größeren Fliesen, schmalen Fugen und dem beliebten Feinsteinzeug, dessen Rückseite sehr glatt ist, geht es nicht ohne polymere Bindemittel. Außerdem spielt wegen der steigenden Lohnkosten mittlerweile auch die Arbeitszeit eine Rolle. „Es lohnt sich nicht mehr, die Fliese eine Viertelstunde gegen die Wand zu drücken, bis sie hält“, sagt Lars Nordblom. Er rechnet daher im Fliesenbereich für VINNAPAS® mit einem jährlichen Zuwachs von 15 Prozent, und das für Jahre.

Die Bauqualität steigt nicht nur bei den Fliesen. Lucy Lu, Business Director für VAE-Dispersionen, sieht auch in anderen Bereichen steigende Ansprüche. Zum Beispiel bei der Abdichtung von Kellern und Nassbereichen. „Früher gab es viele Wasserschäden, feuchte Wände und Pilzbefall in den Wohnungen“, erzählt sie. Deswegen werden immer häufiger Abdichtungsmembrane eingebaut. In den letzten vier Jahren konnte WACKER den Absatz von VAE-Dispersionen verdreifachen. Gerade bei lokalen Herstellern von Dichtungsschlämmen gewinnen die VINNAPAS®-Dispersionen an Beliebtheit.

Produktionsstandorte von WACKER in China

Zhangjiagang

Siloxan und pyrogene Kieselsäure HDK®

(Gemeinschaftsunternehmen mit Dow Corning)

Siliconöle und -emulsionen

Elastomere

 

Shunde

Siliconöle und -emulsionen

(Gemeinschaftsunternehmen mit Dymatic Chemicals)

Nanjing

Dispersionen

Dispersionspulver

 

Wuxi

PVA c-Festharze

WACKER-Produkte, die in Asien hergestellt werden

WACKER SILICONES

Siloxane

Silicon-Intermediates

Silicondichtstoffe

Festsiliconkautschuke

Raum- und hochtemperaturvernetzende Flüssigsiliconkautschuke

Siliconemulsionen

Siliconöle

Pyrogene Kieselsäure

WACKER POLYMERS

Dispersionen

Dispersionspulver

 

WACKER BIOSOLUTIONS

PVA c-Festharze

 

SILTRONIC

200 mm Reinstsiliciumwafer

300 mm Reinstsiliciumwafer

Mit eigens für den chinesischen Markt entwickelten Produkten, zum Beispiel für das kostengünstigere Preissegment am Bau, sowie mit neuen Kunden und neuen Absatzkanälen will WACKER Greater China auch in den nächsten Jahren schneller wachsen als die Konkurrenz.

Produktionsausbau in Nanjing

2013 hat WACKER in Nanjing die Produktionskapazität für Polymerdispersionen von 60.000 auf 120.000 Tonnen verdoppelt. Und 2014 soll dann auch die Kapazität bei den Dispersionspulvern verdoppelt werden, von 30.000 auf 60.000 Tonnen. Damit ist der Anlagenkomplex in Nanjing der größte seiner Art in China.

Bei Bindemitteln für Wärmedämmverbundsysteme ist WACKER schon klarer Marktführer in China. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Nische. Im Norden des Landes ist Wärmedämmung ein Muss. Auch anderswo ist Energiesparen mittlerweile ein großes Thema. Das Shanghaier Labor hat speziell an den Markt angepasste Produkte entworfen. Außerdem haben WACKER-Mitarbeiter in den letzten Jahren Pilotprojekte angeschoben, Handwerker im Umgang mit den Wärmedämmverbundsystemen geschult und sich bei Normen und Gesetzen für energiesparendes Bauen engagiert. „Der Volkskongress hat die Energiesparziele gerade nach oben gesetzt“, freut sich Lars Nordblom.

Er rechnet damit, dass Energieeffizienz und umweltverträgliche Baustoffe in China eine immer größere Rolle spielen werden. Der Smog und die Umweltskandale beschäftigen die Menschen, sagt Nordblom. Auch die Energiekosten seien exorbitant in einer Stadt wie Shanghai, wo die schlecht isolierten Wohnungen von 24 Millionen Einwohnern im kalten Winter mit Klimaanlage oder elektrischen Heizkörpern geheizt werden.

Wirklich angekommen

Die neue China-Zentrale von WACKER weist den Weg in die Zukunft. Das Bürogebäude mit der glänzenden Fassade ist ein Energiespargebäude. WACKER hat auf 10.000 Quadratmetern und sechs Etagen nicht nur Büros für Marketing, Vertrieb und Verwaltung, sondern auch zahlreiche Forschungs- und Testlabors untergebracht. Paul Lindblad, Präsident von WACKER Greater China, steht stolz in seinem Büro und sagt: „Die neue Zentrale spart nicht nur Energie. Sie sorgt auch viel für die Atmosphäre im Team, führt zusammen und erleichtert die Kooperation für uns alle.“

Für Paul Lindblad ist der Firmensitz ein Zeichen dafür, dass WACKER nun wirklich in China angekommen ist. Dies mache schon die Lage des neuen Hauptquartiers deutlich. „Vom alten Büro war es ein Katzensprung zum internationalen Flughafen Pudong. Heute sind wir ganz in der Nähe des Inlandsflughafens und des Bahnhofs, von dem die Hochgeschwindigkeitszüge abfahren“, erzählt er. „So können wir unsere Produktionsstätten und Kunden in ganz China gut erreichen.“ Lindblad will das Unternehmen noch mehr lokal verankern. Von den 870 Mitarbeitern seien bereits 844 Chinesen. Der US-Amerikaner fände es da nur logisch, wenn auch sein Nachfolger einmal aus China käme.

WACKER-Mitarbeiter in Asien

WACKER-Mitarbeiter in Asien (Tortendiagramm)WACKER-Mitarbeiter in Asien (Tortendiagramm)

WACKER-Umsatzentwicklung in China Mio. €

WACKER Umsatzentwicklung in China (Balkendiagramm)WACKER Umsatzentwicklung in China (Balkendiagramm)