WACKER hat im Jahr 2011 erneut ein gutes Geschäftsergebnis erzielt, auch wenn wir uns noch mehr vorgenommen hatten. Nach einem sehr guten Jahresauftakt sah es bis zum Ende des dritten Quartals so aus, als wenn wir unser bisher erfolgreichstes Jahr 2010 nochmals übertreffen könnten. Die heftigen Turbulenzen auf dem Photovoltaikmarkt in den letzten drei Monaten des Jahres haben unsere bis dahin hervorragende Umsatz- und Ergebnisentwicklung deutlich gebremst. Dazu kam eine schwächere Nachfrage in unserem Halbleitergeschäft. Unter dem Strich haben wir den Umsatz um 3,4 Prozent auf 4,91 Milliarden Euro gesteigert. Das EBITDA sank um 7,6 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro und erreichte nicht ganz das hohe Niveau des Vorjahres.
Die Diskussion um die Förderung und die Kosten der erneuerbaren Energien sowie die Konsolidierung auf dem weltweiten Photovoltaikmarkt werfen bei vielen die Frage auf, ob die Photovoltaik ihre bisherige Erfolgsgeschichte in den kommenden Jahren fortschreiben kann. Als einer der weltweit führenden Anbieter von Polysilicium haben wir einen guten Einblick in den Markt und können die Mechanismen beurteilen.
Das Jahr 2011 markiert einen Wendepunkt in der weiteren Entwicklung dieses sehr dynamischen und weiter wachsenden Marktes. Das hohe Wachstum und die attraktiven Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass viele neue Wettbewerber in allen Wertschöpfungsstufen vor allem aus China in dieses Geschäft eingestiegen sind und sehr schnell zu viele Produktionskapazitäten aufgebaut haben, die selbst ein Markt mit durchschnittlichen Wachstumsraten von zum Teil über 50 Prozent nicht vollständig aufnehmen kann. Zunächst kam es in den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen der Wafer-, Zell- und Modulhersteller zu einem extrem intensiven Preiswettbewerb, den nicht alle Anbieter erfolgreich bestehen werden. Ein Solarmodul kostet heute nur noch die Hälfte dessen, was noch vor fünf Jahren bezahlt wurde. Obwohl im Jahr 2011 erneut mehr Photovoltaikanlagen installiert wurden, überstieg das Angebot die Nachfrage. Bei unseren Kunden haben sich dadurch im Laufe des Jahres hohe Lagerbestände aufgebaut. Um diese Lagerbestände abzubauen, kam es zu Preis- und Nachfragerückgängen bei Polysilicium, die sich in unseren Zahlen des vierten Quartals widerspiegeln. Wir sind in diesen Monaten auf alle unsere Kunden zugegangen und haben gemeinsam mit ihnen individuelle Lösungen entwickelt.
Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, dass es ein Chemiegeschäft mit einer EBITDA-Marge von 50 Prozent und mehr auf Dauer nicht geben wird. Das starke Marktwachstum bei gleichzeitiger Knappheit des Rohstoffs Polysilicium war eine Sondersituation, von der wir einige Jahre in besonderer Weise profitiert haben. Wir sind insofern nicht überrascht, dass die hohen Margen zurückgehen. Überraschend war nur die Dynamik der Veränderung.
Polysiliciumgeschäft bleibt attraktiv
Das Geschäft mit Polysilicium für die Photovoltaikindustrie wird in Zukunft attraktiv bleiben und uns gute Margen liefern. Sie sind auch notwendig, um den kapitalintensiven Ausbau der Produktionskapazitäten voranzubringen und das weitere Wachstum der Photovoltaik zu begleiten.
Hier sind wir im vergangenen Jahr sehr gut vorangekommen. Die Ausbaustufe 9 unserer Polysiliciumproduktion in Nünchritz haben wir erfolgreich in Betrieb genommen. Unser größtes Investitionsprojekt in der Geschichte von WACKER, der neue Produktionsstandort für Polysilicium im US-Bundesstaat Tennessee, macht sehr gute Fortschritte. Für WACKER ist der neue Produktionsstandort in Amerika ein strategisches Projekt, weil er uns in die Lage versetzt, dort einen integrierten Verbundstandort zu etablieren, von dem das Unternehmen langfristig profitieren wird.
An unserem hohen Investitionsvolumen – allein im Jahr 2011 haben wir rund 980 Millionen Euro ausgegeben – sehen Sie, dass wir von einem weiteren Wachstum der Photovoltaik als eines unverzichtbaren Energieträgers ausgehen und WACKER ein führender Polysiliciumhersteller in diesem Markt bleiben wird. Als Kosten- und Qualitätsführer können wir von der notwendigen Konsolidierung des Marktes sogar dauerhaft profitieren. WACKER ist dafür hervorragend positioniert.
Die Energiewende in Deutschland ist beschlossene Sache. Sie ist ein Projekt mit vielen Risiken aber auch vielen Chancen. Wir wollen sie nutzen, um die Produkte und Dienstleistungen, die dafür notwendigerweise gebraucht werden, weltweit erfolgreich zu vermarkten.
Bei Geschäften, die dauerhaft unsere Renditeerwartungen nicht erfüllen, müssen wir handeln. Fakt ist: Der Markt für 200 mm Siliciumwafer wird immer weiter zurückgehen. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, unsere Produktionskapazitäten für diesen Scheibendurchmesser der Marktnachfrage anzupassen. Am Ende stand die Entscheidung, unseren japanischen Standort in Hikari bis Mitte 2012 zu schließen, so schmerzlich das auch für unsere japanischen Mitarbeiter ist. Es gehört aber zu den Aufgaben des Vorstands, die Realitäten des Marktes im Blick zu behalten und die Ausrichtung des Unternehmens wenn nötig nachzujustieren. Mit der im Jahr 2009 begonnenen Strategie der Leitstandorte können wir die Produktionsvolumina für 200 mm Wafer nach Singapur und Portland verlagern. Das erhöht dort die Anlagenauslastung und verbessert die Fixkostenstruktur. Durch diese Maßnahme verringern sich unsere Kosten um 30 Millionen Euro jährlich.
Das Jahr 2011 hat gezeigt, dass die Kombination und das Risikoprofil unserer verschiedenen Geschäfte eine Stärke von WACKER ist. Die drei Geschäftsbereiche der Chemie haben sich trotz heftigen Gegenwinds von der Rohstoffseite gut geschlagen. Besonders der Geschäftsbereich WACKER POLYMERS konnte seinen Umsatz deutlich steigern. Die Substitution von Styrolbutadien durch unsere VAE-Dispersionen hat uns einen kräftigen Wachstumsschub beschert, den wir im Jahr 2012 wiederholen wollen.
Dass wir im Jahr 2008 die Chance ergriffen, die Anteile an zwei Gemeinschaftsunternehmen, die wir mit Air Products betrieben haben, vollständig zu erwerben, hat unser Polymergeschäft gestärkt. Wir verfügen heute über geschlossene Wertschöpfungsketten bei Dispersionen und Dispersionspulvern in Amerika, Asien und Europa. Wir konnten unsere Stellung in Nordamerika deutlich ausbauen. Darüber hinaus erweist sich das Polymergeschäft als relativ krisenfest und liefert zuverlässig einen gesunden Cashflow.
Finanzlage von WACKER durch Solidität gekennzeichnet
Eine starke Bilanz und eine solide Finanzlage sind schon immer Markenzeichen von WACKER gewesen. Darauf werden wir auch in Zukunft achten. Unser Ziel bleibt eine gute Eigenkapitalausstattung sowie ausreichend Liquidität. Die nach wie vor hohen Investitionen konnten wir auch 2011 aus dem eigenen Cashflow und aus Kundenanzahlungen finanzieren. Und die Liquidität übersteigt die Finanzverbindlichkeiten um fast 100 Millionen Euro. Das wird sich in den nächsten Jahren so nicht fortsetzen. Unsere Nettofinanzverschuldung wird wachsen, weil unsere Investitionen hoch bleiben und gleichzeitig die Anzahlungen, die wir von unseren Kunden für künftige Polysiliciummengen erhalten haben, jetzt mit den Lieferungen nach und nach zurückfließen. Trotz des geplanten Anstiegs der Verschuldung werden wir die solide Bilanzpolitik weiterführen.
Ähnliche Maßstäbe wie an die Bilanz und die Finanzlage legen wir auch bei der Ausschüttungspolitik an. Sie ist gekennzeichnet durch eine angemessene und nachhaltige Beteiligung unserer Aktionäre am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens, ohne dass dadurch die Mittel für künftiges Wachstum fehlen oder die Substanz des Unternehmens angegriffen wird. Aufsichtsrat und Vorstand schlagen der Hauptversammlung im Mai vor, eine Dividende pro dividendenberechtigter Aktie in Höhe von 2,20 Euro auszuschütten. Das entspricht einer Ausschüttungsquote von 31 Prozent bezogen auf das den Aktionären der Wacker Chemie AG zurechenbare Jahresergebnis und liegt damit über der Mindestausschüttungsquote von 25 Prozent.
Bis zur Jahresmitte hat sich die WACKER-Aktie positiv entwickelt. Nach einem Kurshoch von 172,80 Euro im Mai hat sie sich dann bis zum Ende des Jahres schwächer entwickelt als der M-DAX. Die Staatsverschuldung in einigen Euroländern und Konjunktursorgen führten zu einem kräftigen Kursrutsch. Dazu kam die negative Einschätzung des Kapitalmarkts hinsichtlich der weiteren Perspektiven der Photovoltaikindustrie. Das hat die WACKER-Aktie im Verlaufe des Jahres 2011 in ihrer Kursentwicklung deutlich beeinflusst. Wir sind mit dieser Kursentwicklung nicht zufrieden.
Wie Sie wissen, sind viele Probleme, die auch im Zusammenhang mit der Finanz- und Schuldenkrise stehen, nach wie vor nicht gelöst. Das wirtschaftliche Umfeld wird nicht zuletzt deshalb für uns im Jahr 2012 herausfordernd bleiben. Dennoch sind wir bei WACKER optimistisch, dass 2012 ein gutes Geschäftsjahr werden kann mit einem Umsatzanstieg und einem guten operativen Ergebnis.
Wachstum aus eigener Kraft steht im Vordergrund
Der Kern unserer Strategie liegt unverändert im weiteren Wachstum aus eigener Kraft. Das zeigt sich nach wie vor in unseren Investitionen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf unserem neuen Polysiliciumstandort im US-Bundesstaat Tennessee, den wir bis Ende 2013 fertig stellen wollen. Aber auch die beiden Ausbauprojekte in Nanjing für die Geschäftsbereiche WACKER POLYMERS und WACKER BIOSOLUTIONS unterstreichen unsere Wachstumschancen auf dem chinesischen Markt.
Im Geschäftsbereich WACKER SILICONES werden wir das Geschäft in den aufstrebenden Schwellenländern Brasilien, China und Indien ausbauen, da hier auf Grund des Wohlstandszuwachses die Nachfrage nach höherwertigen Produkten steigt. Mit unserem Produktportfolio können wir diese Nachfrage hervorragend bedienen. Der Fokus für den Geschäftsbereich WACKER POLYMERS liegt darauf, die Marktführerschaft in der Bauindustrie in unseren etablierten Absatzländern zu festigen und sie in den Wachstumsmärkten Brasilien, China und Indien anzustreben. Bei den Dispersionen werden wir die Substitution von Styrolbutadien durch unsere Produkte weiter voranbringen. Im Geschäftsbereich WACKER POLYSILICON gilt es, unsere Qualitäts- und Kostenführerschaft konsequent zu verteidigen. Siltronic wird die Maßnahmen zur Effizienz- und Produktivitätssteigerung unverändert fortsetzen. Das Geschäft mit 300 mm Siliciumwafern wollen wir weiter ausbauen. Wir konzentrieren uns dabei auf den Kapazitätsausbau in unserem Gemeinschaftsunternehmen Siltronic Samsung Wafer in Singapur.
Unser Geschäftsportfolio, unsere starke Präsenz in den wichtigen Wirtschaftsregionen der Welt sowie die führenden Markt- und Technologiepositionen unserer Geschäftsbereiche bilden die Basis, auf der wir das Wachstum des Konzerns in den kommenden Jahren voranbringen wollen.
Wir bauen bei all diesen Vorhaben auf das hohe Engagement und das exzellente Know-how unserer Mitarbeiter. Sie sind dafür verantwortlich, dass WACKER in der Vergangenheit erfolgreich war. Dafür möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch im Namen meiner Vorstandskollegen danken.
Unser Dank gilt aber genauso all unseren Kunden und Lieferanten über alle Grenzen und Länder hinweg für die vertrauensvolle und verlässliche Zusammenarbeit. Unseren Aktionärinnen und Aktionären danke ich für den offenen Dialog und für ihr Vertrauen in das Unternehmen.
München, im März 2012
Dr. Rudolf Staudigl
Vorsitzender des Vorstands der Wacker Chemie AG