Fundamente für ein neues Leben
Die Organisation Habitat for Humanity verhilft armen Familien zu einem eigenen Haus. Ein Konzept, das die Mitarbeiter von WACKER POLYMERS überzeugte. Seit einigen Jahren unterstützen sie die Projekte des Vereins – nicht nur mit Geld.
Mit beiden Händen umschließt Byamungu Jafari die Hand des Besuchers und hält inne, um den Augenblick zu würdigen. „Willkommen“, sagt er dann, ernsthaft und ein wenig feierlich. Was für viele eine Selbstverständlichkeit ist, für ihn ist es etwas Besonderes: Gäste zu empfangen. Im eigenen Haus.
Es ist ein einfaches Haus, mit vier Zimmern, gelegen in einer Siedlung der Industriestadt Bethlehem, Pennsylvania, wo früher Stahl produziert wurde. Jafari, ein schmaler Mann in einem leuchtend gelben T-Shirt, bittet ins Wohnzimmer. Vor rund einem Jahr ist er mit seiner Ehefrau Gilberte und den beiden Söhnen, Mugisha und Tomas, eingezogen. Töchterchen Annick, ein Sonnenschein im rosa Kleidchen, war da noch nicht geboren. Für die Familie war es eine Zäsur. „Unser Leben hat sich so sehr verändert“, sagt der Hausherr. „Wir sind stabiler, glücklicher. Es geht uns gut.“
Flucht, Vertreibung, Übergangslager – noch vor kurzem prägte dies das Leben des 31-jährigen Afrikaners. Dass er und seine Familie jetzt einen Fixpunkt haben, ist das Ergebnis einer Allianz zwischen Habitat for Humanity und den rund 90 Mitarbeitern von WACKER POLYMERS in Allentown, der Nachbarstadt von Bethlehem. Habitat for Humanity ist eine gemeinnützige Organisation, die vom früheren US-Präsident Jimmy Carter und seiner Frau Rosalynn unterstützt wird. Es geht darum, Menschen soziale Stabilität durch ein eigenes Haus zu geben. Menschen, die eine solche Chance verdient haben – auch weil sie bereit sind, selbst Energie und Kraft zu investieren.
Das ist die Philosophie von Habitat: Wer anständig wohnt, gewinnt weit mehr als ein Dach über dem Kopf. Die emotionale Sicherheit, die ein Haus als Lebensmittelpunkt vermittelt, ist gerade für arme Familien eine Basis, die vieles verbessern kann – Gesundheit, Ehe, berufliche Aussichten. Deshalb hilft die Organisation beim Hausbau – mit Bauland, Material, Freiwilligen, die anpacken, und Geld. Es ist ein Geschenk mit Auflagen: Die Familien müssen das zinslose Darlehen, das sie erhalten, zurückzahlen. Jeder Erwachsene muss zudem mindestens 250 Stunden auf der Baustelle arbeiten, die so genannte Schweisseinlage. „Wir reichen den Leuten die Hand. Aber auf die Beine kommen müssen sie selber“, verdeutlicht Deb Cummins, Geschäftsführerin der Vereinigung „Lehigh Valley Habitat for Humanity“.
Spenden und Muskelkraft
Das Prinzip gefiel den Mitarbeitern von WACKER POLYMERS. Im Jahr 2010 erklärten sie sich auf Vorschlag des damaligen Vertriebschefs für Nordamerika, Doug Timmel, und Scott Borst, damals Vice President Construction Polymers, bereit, Projekte von Habitat zu unterstützen. Seitdem wurden jährlich Sach- und Geldspenden von durchschnittlich 17.500 US-$ gesammelt. 14 Angestellte von WACKER POLYMERS in Allentown halfen überdies mit ihrer Muskelkraft bei den Malerarbeiten und der Fußbodenverlegung. Das Unternehmen stellt die Mitarbeiter für einen achtstündigen Arbeitstag im Jahr frei, um an dieser freiwilligen Arbeit teilzunehmen. „Die investierte Zeit ist eine Bereicherung für die Mitarbeiter, und sie erzählen begeistert, wie erfüllend die Erfahrung für sie war“, berichtet Deborah Matelan, Chemikerin bei WACKER POLYMERS, die die Zusammenarbeit mit Habitat koordiniert. Einige Mitarbeiter helfen auch in ihrer Freizeit nach einem regulären Arbeitstag mit.
Matelan ist überzeugt von dem Projekt. Mit viel Engagement hat sie die Helfer geworben, ihren Einsatz geplant, sie mit Informationen versorgt. „Das kostet Zeit, aber ich tue es gern. Ich will, dass die Zusammenarbeit ein Erfolg wird.“ Sie mag den Ansatz, dass alle Beteiligten profitieren: Die Familien bekommen ein Heim, die freiwilligen Helfer haben Spaß und freuen sich einen Beitrag zu leisten, die Firma gewinnt durch den Dienst an der Gesellschaft an Reputation. Als Unternehmen Verantwortung zu übernehmen, ist in den USA sehr wichtig. „Wenn es um Nachhaltigkeit geht, denken die wenigsten Menschen ans Soziale“, sagt Matelan. „Aber als Unternehmen müssen wir ein Interesse daran haben, unsere Umgebung und die Menschen, die hier leben, zu stärken.“
Für Habitat-Geschäftsführerin Cummins ist der Einsatz von WACKER auch deshalb so wichtig, weil er langfristig ist – und persönlich. „Es gibt Firmen, die geben einen Scheck ab und verschwinden wieder“, sagt sie. „Bei WACKER ist das völlig anders.“ Nach der Fertigstellung des Jafari-Heims haben die Mitarbeiter im Rahmen des Habitat-Programms geholfen, ein Haus für eine Familie zu renovieren. In diesem Jahr werden sie den Habitat „ReStore“ ausbauen – hier werden gespendete neue oder gebrauchte Möbel sowie Haushaltsbedarf zu erschwinglichen Preisen verkauft.
Einigen ist das Projekt so wichtig, dass sie Matelan gebeten haben, auch nach ihrer Pensionierung auf der Freiwilligenliste zu bleiben. Und, mindestens ebenso wichtig: Sie werben auch bei ihren Geschäftspartnern für das Projekt. „Einer unserer Kunden stiftete Farbe en gros“, erinnert sich Matelan. „Als die Mitarbeiter die Farbe vorbeibrachten, waren sie von dem Projekt so beeindruckt, dass sie sich ebenfalls als Freiwillige registrieren ließen.“ Die Farblieferanten arbeiteten Seite an Seite mit den freiwilligen Helfern von WACKER POLYMERS. Es ist wie ein Schneeball, der rollt und immer größer wird.
Häuser für über drei Millionen Menschen
Habitat wählt die Hilfsempfänger sorgfältig aus: Von den vielen interessierten Familien, die in Allentown und Umgebung jedes Jahr Hilfe suchen, werden weniger als fünf Prozent akzeptiert. „Wer überschuldet ist oder den Offenbarungseid leisten musste, hat es viel schwerer, sich bei uns zu qualifizieren“, sagt Cummins. Resultat: „Selbst während der Finanzkrise gab es bei uns keine einzige Zwangsversteigerung.“ Das ist auch deshalb wichtig, weil die Organisation die Rückzahlungen für neue Darlehen braucht, nach dem Prinzip eines sich erneuernden Fonds. Die 1976 in Atlanta, Georgia, gegründete internationale Organisation hat bis heute mehr als 600.000 Häuser gebaut, für über drei Millionen Menschen.
Unter ihnen ist jetzt auch die Familie Jafari. Sie gehört zu den Opfern der Unruhen zwischen Tutsi und Hutu in Zentralafrika. Byamungu Jafaris Eltern stammen aus Burundi, sie flüchteten 1972 vor dem Bürgerkrieg in die benachbarte Republik Kongo. Wenige Jahre später holt sie der Konflikt ein, und die Familie flüchtet wieder, nach Tansania. Mehr als zehn Jahre leben sie in Camps, unter primitiven Bedingungen. Zumindest kann Byamungu zur Schule gehen, er macht seinen Abschluss, beginnt Jüngere zu unterrichten. 2007 erreicht die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, UNHCR, dass die USA einige hundert der heimatlosen Familien aufnehmen. Die Jafaris sind dabei. Erst wollen sie gar nicht in das unbekannte Land. „Aber wohin sonst hätten wir gehen sollen? Es wollte uns ja keiner haben“, sagt Herr Jafari.
Sie siedeln nach Pennsylvania um, leben zunächst in Not- und Übergangswohnungen, auf engstem Raum, mit nur den nötigsten Sanitär-Einrichtungen. Immerhin, Byamungu Jafari findet Arbeit, im Warenlager eines Supermarktes, ein typischer Einsteigerjob. Er beneidet Nachbarn, die ihr Auto in der Einfahrt parken, der Einfahrt zum eigenen Haus. Für ihn scheint das außerhalb jeder Reichweite. Bis ihm ein Freund von „Habitat for Humanity of the Lehigh Valley“ erzählt.
Jetzt richten sie sich ein in ihrem neuen Leben. Machen Kompromisse zwischen dem, was sie sich wünschen, und dem, was möglich ist. Es gibt das neue schwarze Sofa und den alten zerkratzten Couchtisch. Über den Esstisch hat Gilberte Jafari eine durchsichtige Plastikdecke gebreitet, damit die Kinder die schönen Sets nicht bekleckern. Stolz erzählt sie von der Waschmaschine, die den Alltag einfacher macht. Der fünfjährige Tomas geht neuerdings in die Vorschule, und sein Vater träumt davon, Lehrer zu werden. Dafür müsste er aufs College gehen, das ist teuer, er hat sich erkundigt. Er schaut auf den Boden, seine Miene verdüstert sich. Doch dann blickt er hoch, sieht seinen Sohn an und sein Wohnzimmer. Wer weiß, was noch alles möglich ist. Seine Stimme klingt hoffnungsvoll, als er sagt: „Keiner kann wissen, was die Zukunft bringt.“