Nachhaltigkeitsmanagement

Ein Gespräch mit Dr. Jutta Matreux.

„Ein Unternehmen, das nachhaltig handelt, wird auch langfristig als erfolgreicher eingeschätzt.“

Frau Matreux, wie erklären Sie im Unternehmen, dass sich eine nachhaltige Produktion für WACKER lohnt?

Ganz einfach: Nachhaltiges Wirtschaften ist immer im Sinne von WACKER gewesen. Natürlich wollen wir Energie und Rohstoffe sparen. Wir haben zum Beispiel schon 2005 angefangen, bei der Chlormethansynthese Wärme rückzugewinnen. Damit sparen wir mittlerweile drei Millionen Euro pro Jahr an Energiekosten ein. Daran wird deutlich: Kaufmännisches Denken ist ein wichtiger Teil für nachhaltiges Handeln.

Aber Nachhaltigkeit ist ja nicht nur Energiesparen.

Natürlich nicht. Denn Nachhaltigkeit hat neben ökologischen und sozialen Faktoren auch wirtschaftliche Aspekte. Für uns heißt das etwa, dass wir nur nachhaltig wirtschaften können, wenn wir uns auf die richtigen Märkte konzentrieren. Wir müssen es schaffen, die globalen Megatrends mit dem Thema Nachhaltigkeit zu verknüpfen.

Wo zum Beispiel?

Beim Megathema Urbanisierung können wir helfen, Ressourcen zu schonen, damit das Leben in den Städten lebenswert bleibt. Global sehen wir da einen ganz starken Trend im Baubereich. Es gibt zahlreiche Umwelt-Labels, die unter anderem bei öffentlichen Bauten sehr gefragt sind. Wer dort etwas auf sich hält, baut nachhaltig. Auch die Energiewende schaffen wir nicht ohne die Chemie. Wir sind überall dort engagiert, wo es um Zukunftsthemen wie Energieerzeugung und Energiespeicherung geht, von der Solarzelle bis zum neuen Turbo-Akku.

WACKER setzt sich selbst konkrete Energiesparziele. Wie sehen die aus?

Neben Initiativen wie Elektrofahrzeugen im Werkverkehr konzentrieren wir uns auf die wesentlichen Stellschrauben. Etwa auf eine noch effizientere Produktion. Bis 2022 wollen wir in Deutschland jedes Jahr 1,5 Prozent Energie einsparen. Das ist sehr ehrgeizig. Aber wir wissen genau, wo wir ansetzen müssen. Daneben arbeiten wir an drei weiteren konkreten Umweltzielen. In den nächsten zehn Jahren wollen wir Treibhausgase, Staubemissionen und flüchtige organische Verbindungen gezielt verringern.

Muss dann nicht bereits die Produktentwicklung nachhaltig sein?

Natürlich, und wir durchleuchten Innovationen auch auf ihre Nachhaltigkeit. Dabei untersuchen wir, wie sich unsere neuen Produkte auf Umwelt und Gesellschaft auswirken, und zwar über den ganzen Lebenszyklus des Produkts hinweg. So können wir genau analysieren, wie nachhaltig unser Innovationsportfolio ist.

Regelt der Markt das nicht von alleine?

Ich finde, darauf dürfen wir uns nicht verlassen. Wir haben in der Produktentwicklung zum Beispiel eine Liste mit rund 300 Stoffen, die bei WACKER nicht mehr eingesetzt werden. Das sind nicht nur verbotene Chemikalien, sondern auch Stoffe, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. Aus Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern und unseren Kunden verzichten wir auf diese Stoffe.

Und das reicht dann, um nachhaltig zu sein?

Nein, was dazukommen muss, ist die indirekte Verantwortung über das Unternehmen hinaus. Dazu gehören alle Stufen der Wertschöpfungskette: vom Einkauf über die Produktion und die Nutzung bis hin zur Frage, was von unseren Produkten am Ende übrigbleibt. Ob sie beispielsweise recycelbar sind oder deponiert werden müssen. Der Aspekt der indirekten Verantwortung ist erst in den letzten Jahren immer wichtiger geworden.

Wie wollen Sie Lieferanten bei Ökologie und sozialer Verantwortung besser einbinden?

Diese Aspekte spielen bei der Lieferantenbewertung eine wichtige Rolle. Wir führen dazu mit unseren Lieferanten einen Dialog.

Und dann? Wie können Sie einen Lieferanten überzeugen, Dinge zu verändern?

Wir arbeiten mit dem Lieferanten gemeinsam an seinen Standards, wenn wir der Meinung sind, es gebe Verbesserungsbedarf. In der Praxis läuft das so: In den USA beispielsweise besuchen wir im Jahr 2013 alle externen Abfallentsorger. Unsere Umweltfachleute sind dabei vor Ort und können sofort Dinge ansprechen, die aus unserer Sicht besser gemacht werden können. In Deutschland machen wir das schon länger so. Wir ziehen uns nicht darauf zurück, dass die rechtliche Verantwortung bei unseren Vertragspartnern liegt.

Gelten denn bei WACKER weltweit gleiche Standards?

Es ist nicht so, dass wir alle betrieblichen Umweltstandards, die der deutsche Gesetzgeber vorschreibt, woanders ungeprüft übernehmen. Auch hier gilt: Ökonomische Gesichtspunkte und lokale Anforderungen dürfen wir nicht außer Acht lassen, damit wir in der Region, aber auch global wettbewerbsfähig bleiben. Im Kern haben wir aber bei den wesentlichen Punkten überall auf der Welt den gleichen Standard.

Das garantieren Sie?

Unsere Kunden können sich gerne unsere Produktionsstätten in anderen Teilen der Welt anschauen – egal ob in Indien, Brasilien oder anderswo. Das ist für uns kein Thema.

Interessiert das die Investoren?

Ja, immer mehr. Anleger wollen heute nicht nur eine gute Rendite erzielen, sondern auch das gute Gewissen haben, in Unternehmen zu investieren, die Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft übernehmen. Analysten untersuchen diese Frage und erstellen Rankings für Investoren. Dabei geht es nicht nur darum, die Risiken herauszufinden, die ein Unternehmen hat. Es geht vor allem auch um die Chancen, die Klimaschutz und ein effizienter Energie- und Rohstoffeinsatz für das Geschäft bieten. Und es geht darum, wie attraktiv ein Unternehmen als Arbeitgeber und Geschäftspartner ist, wenn es fair mit Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden umgeht. Kurzum: Ein Unternehmen, das nachhaltig handelt, wird auch langfristig als erfolgreicher eingeschätzt.

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Ihre Arbeit trotzdem als Feigenblatt für alles herhalten muss,
was mit Nachhaltigkeit zu tun hat?

Zum Glück nicht. Unser Management weiß, dass es wichtig ist, Prozesse nachhaltig zu gestalten. Bei WACKER ist das ein Kernwertethema, das Nutzen bringt und daher nicht an andere delegiert wird. Wir haben ein integriertes Verständnis von Nachhaltigkeit. Das heißt, dass wir schon bei den ersten Entwicklungsschritten zu einem Produkt und der Planung einer neuen Anlage die Nachhaltigkeit berücksichtigen. Ich will dazu beitragen, dass die Nachhaltigkeit in Zukunft noch stärker als Chance für das Unternehmen verstanden wird. Dabei leiste ich gerne Überzeugungsarbeit.

Wo steht WACKER heute?

Das ist eine gute Frage. Wir begreifen nachhaltiges Wirtschaften als Entwicklungsprozess, bei dem wir vieles bereits erreicht haben, wo aber auch noch einige Herausforderungen vor uns liegen. Wir haben bei den Produkten von WACKER POLYMERS Ökobilanzen für unsere Hauptprodukte aufgestellt. Ein Meilenstein ist sicher auch der „Corporate Carbon Footprint“, die CO2-Bilanz für den gesamten Konzern, die wir gerade zum zweiten Mal berechnet haben. Dadurch, dass wir sehr viel im Verbund produzieren, ist es allerdings nicht so einfach, Energieverbrauch oder CO2-Ausstoß einzelnen Produkten zuzuweisen.

Das heißt, dass noch nicht alle Zahlen vorliegen.

Die meisten Unternehmen beschäftigen sich erst einmal mehrere Jahre mit den Kohlendioxidemissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, bevor sie Zahlen bekannt geben. So weit sind wir noch nicht. Wir haben bislang unsere direkten Treibhausgasemissionen und unsere indirekten Emissionen aus zugekaufter Energie erhoben und veröffentlicht. Jetzt beschäftigen wir uns mit allen Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen, zum Beispiel durch Lieferanten oder bei der Entsorgung und dem Transport von Produkten.

Aber in fünf Jahren liegen alle Daten auf dem Tisch?

Wir werden auch in fünf Jahren keine Ökobilanzen für unsere mehr als 3.000 Produkte haben. Das macht auch ökonomisch gar keinen Sinn. Hier engagieren wir uns vor allem über Verbände wie die Deutsche Bauchemie, den europäischen Siliconverband CES und andere Organisationen bei der Erstellung von Ökobilanzen und „Product Carbon Footprint“-Daten. Aber ich gehe davon aus, dass wir dann für unsere wesentlichen Produktlinien eigene Ökobilanzen haben werden.

Eine langwierige Aufgabe. Was macht diesen Job für Sie so besonders?

Mir macht die Komplexität des Themas Spaß. Die vielen unterschiedlichen Facetten, Fragestellungen und natürlich der Kontakt mit vielen interessanten Menschen sind toll. Aber am zufriedensten bin ich, wenn ich Impulse setzen kann und merke, es rollt dann von alleine weiter.

Frau Matreux, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Jutta Matreux, Leiterin Corporate Services im Werk Burghausen (Foto)

Dr. Jutta Matreux
Leiterin Corporate Services
im Werk Burghausen

Sie ist seit 2011 verantwortlich für Nachhaltigkeit, Produktsicherheit, Managementsysteme und Analytik.