Energie
Wenn Gerhard Knittel aus seinem Bürofenster nach Osten auf das Burghausener Werksgelände schaut, sieht er einen komplett verkleideten, hellgrauen Bau mit blauen Längsstreifen. Für den Laien erscheint das Gebäude unspektakulär. Doch dem Leiter des Stromeinkaufs bei WACKER signalisiert der Blick nach draußen, dass alles in Ordnung ist. „Wenn es dort mal nicht aus den Kaminen dampfen würde, wüsste ich, dass etwas falsch läuft“, erklärt er sein besonderes Interesse an dem fensterlosen Turm. Das hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk wird seit 2001 mit einem großen Energieversorger als Partner betrieben. Eine Gasturbine erzeugt aus Erdgas den gesamten Dampf, den WACKER in Burghausen für die chemischen Prozesse benötigt. „Außerdem produziert das Kraftwerk parallel rund eine Milliarde Kilowattstunden Strom pro Jahr“, erläutert Knittel, der für die Energieversorgung aller acht deutschen WACKER-Standorte zuständig ist. Hinzu kommen weitere 250 Millionen Kilowattstunden Strom, die in einem zweiten Prozess entstehen, wenn der Dampf in bestimmten Produktionsschritten entspannt wird – dabei lässt der Druck nach, Energie wird freigesetzt.
Mit Wasserkraft fing alles an
Neben diesen Zahlen nehmen sich die rund 250 Millionen Kilowattstunden, die die unternehmenseigenen Alzwerke erzeugen, fast schon klein aus. Seit 1922 nutzt der Chemiekonzern die Kraft des Wassers für seine Produktion in Burghausen. Über einen Kanal, der vom Fluss Alz abzweigt, wird das Wasser auf das Werksgelände geleitet. Direkt oberhalb der Salzach stürzt es durch fünf dicke, graue Stahlröhren nach unten und treibt 63 Meter tiefer in einem gelb getünchten Maschinenhaus mit fünf Francis-Spiralturbinen ebenso viele Drehstromgeneratoren an. „Für den Firmengründer Dr. Alexander Wacker war die Genehmigung, das Wasser der Alz zur Energiegewinnung zu nutzen, damals eines der Hauptargumente, mit der Produktion nach Burghausen zu gehen“, betont Gerhard Knittel. „Mit dem Strom aus Wasserkraft konnte er günstig Essigsäure und Aceton herstellen.“
Wachstum der Produktion treibt den Energiebedarf
Die Leistung der beiden Kraftwerke allein reicht allerdings schon länger nicht mehr aus. Das Unternehmen ist gewaltig gewachsen und sein Energiehunger auch. Der 49-Jährige deutet auf eine Tabelle auf seinem Computermonitor. „Seither haben wir die Energieträger, also Strom und Erdgas, unter unsere wichtigsten Rohstoffe klassifiziert.“ Das ist auch der Grund, warum Knittel in seinem Büro nicht nur die Werkspläne der deutschen WACKER-Standorte, sondern auch Erdgasnetzkarten von Europa und Deutschland im Blick hat.
Flexibilität und strenge Regeln
Den restlichen Strom, den das Unternehmen benötigt, erwirbt der oberste Energieeinkäufer bei WACKER auf dem liberalisierten Strommarkt. Das klingt einfacher, als es ist. Denn es gilt, die richtige Balance zu finden zwischen hoher Flexibilität, die die Produktion erfordert, und den strengen Regeln, nach denen das Stromgeschäft und der Markt funktionieren. „Den Strom, wie wir ihn benötigen, können wir nicht speichern. Deswegen ist das Risikomanagement wichtig“, erläutert Knittel. „Wir beschaffen bestimmte Mengen bis zu drei Jahre im Voraus. Zugleich sind wir teilweise recht kurzfristig auf größere Strommengen angewiesen, die wir auf dem Spotmarkt stundengenau für den nächsten Tag zukaufen.“
Der Einkäufer muss verschiedene Parameter im Blick haben: Der Handel mit Strom oder Spekulationen auf den Preis sind ihm verboten. Daneben ist er verpflichtet, bestimmte Mindestmengen pro Quartal zu erwerben, ohne dabei zugleich Maximalgrenzen zu überschreiten. Als Einschränkung empfindet er das nicht. „Die Regeln sind sinnvoll, denn das oberste Ziel für WACKER ist die optimale Versorgung unserer Produktion zu bestmöglichen Preisen.“
Limit-Orders und kurzfristige Bestellungen
Knittel, der eng mit den Produktionsbetrieben und Kraftwerksbetreibern, dem Rechnungswesen, dem Finanzwesen und dem Controlling sowie der Rechtsabteilung zusammenarbeitet, kauft den Strom auf unterschiedliche Weise. Nachdem er gemeinsam mit den Produktionsbetrieben die Energiemengen festgeschrieben hat, schließt er Verträge am Telefon oder per Fax ab, tätigt Sofortgeschäfte oder so genannte Limit-Orders. Die kommen nur dann zustande, wenn ein bestimmter Preis erreicht wird. „Wegen der großen Summen, die wir bewegen, gibt es eine eigene Prüfstelle, die kontinuierlich die Verträge kontrolliert“, beschreibt Gerhard Knittel einen Sicherungsmechanismus.
Gasmarkt liberalisiert sich
Das zweite große Aufgabengebiet der Energiebeschaffung ist der Einkauf von Erdgas. WACKER bezieht die sauberste thermische Primärenergie vor allem über eine Pipe-line aus Sibirien. Der Markt ist relativ unkompliziert. Noch, denn die traditionellen langfristigen Lieferverträge nehmen ab. Stattdessen gibt es immer mehr Festpreis- und Spothandelsprodukte. „Wir haben damit mehr Einflussmöglichkeiten auf die Preise als früher“, zeigt sich Knittel zufrieden. Im Internet, an der Energiebörse EEX und mit täglichen Marktberichten informiert er sich über die aktuellen Trends und Konditionen im Gasgeschäft. Und in Zukunft könnte sich einiges ändern. „Wir nutzen allein in Burghausen rund 450 Millionen Kubikmeter Erdgas – da lohnt es sich, wie beim Strom auf ein größeres Lieferantenportfolio zu setzen und flexibler einkaufen zu können“, ist der Leiter der Energiebeschaffung überzeugt. „Erst recht, wenn die Preise für die Energieträger in den kommenden Jahren wieder steigen werden.“
Steckbrief
Vielfältiger Energiemix: Die Stromversorgung von
WACKER basiert auf einer Mischung aus fossilen und erneuerbaren, eigenen und externen Energiequellen.
Energiemix in Burghausen
Weg des Erdgases
Das Erdgas wird über eine Pipeline bezogen, die vom Standort Burghausen über Österreich, die Slowakei und die Ukraine bis zu den sibirischen Erdgasfeldern führt. WACKER benötigt derzeit allein in Burghausen rund 450 Millionen m³ Erdgas pro Jahr.
Wasserkraft aus Tradition
Energiegewinnung aus regenerativen Quellen hat bei WACKER Tradition. Bereits seit 1922 liefert die Alzwerke GmbH, ein Tochterunternehmen der Wacker Chemie AG, elektrische Energie aus Wasserkraft in unser Werk in Burghausen. 2010 erzeugten die fünf Turbinen eine Strommenge von rund 250.000 Megawattstunden. Genug Energie, um 1.000 Staubsauger 9,7 Jahre ohne Unterbrechung zu betreiben.
Verwendung von Erdgas in Burghausen
80% Betrieb des Gas- und Dampfturbinenkraftwerks |
20% für chemiespezifische Prozesse |