Bernhard Kollmuss leitet den Projekteinkauf bei WACKER. Der Chemieingenieur arbeitet seit 21 Jahren im Unternehmen und hat in dieser Zeit umfangreiche Erfahrungen bei Großprojekten in aller Welt gesammelt. In seiner Freizeit entspannt der Familienvater am liebsten beim Segeln oder am Kochherd.
Projekteinkauf
Graue, beige und gelbe Rohre liegen in unüberschaubarer Menge und unterschiedlichen Längen und Krümmungen auf dem Boden. Daneben stehen hell- und mittelbraune Kisten, einige Meter weiter sind unter grünlichen Planen großformatige Maschinenteile zu erkennen. Was aus luftiger Höhe wie der Modellbausatz eines Riesen wirkt, ist – gut sortiert – Teil eines Baulagers, das im chinesischen Zhangjiagang die zweite Ausbaustufe einer Produktionsanlage mit Material versorgt: die Fertigung für pyrogene Kieselsäuren – Markenname HDK® –, die der Konzern unter anderem für die Produktion von Siliconen benötigt. Sie gehört zu einem der größten und modernsten integrierten Siliconstandorte der Welt, den WACKER gemeinsam mit dem amerikanischen Unternehmen Dow Corning aufgebaut hat.
Viel planen und trotzdem flexibel sein
Dass keines der vielen Teile des Großbausatzes fehlte, lag auch an Stefan Bahn. Der 45-Jährige, der zum 2008 gegründeten Team des WACKER-Projekteinkaufs gehört, sorgte mit seiner Mannschaft dafür, dass jedes einzelne Teil auf der Baustelle in dem riesigen Industriegebiet zum richtigen Zeitpunkt in der bestellten Ausführung und der gewünschten Qualität geliefert wurde. Bahn begleitete in China den Bau der HDK® -Produktion über zwei Jahre lang – von den ersten Machbarkeitsstudien bis zu den letzten Lieferungen. Einige Zahlen verdeutlichen, welche beachtliche Aufgabe sich dahinter verbarg. Für das Werk unweit des Flusses Yangtze kaufte WACKER bei rund 240 unterschiedlichen Unternehmen ein, löste etwa 300 geplante und 300 nachträgliche oder geänderte Bestellungen aus, die sich auf mehr als 10.000 Bestellpositionen verteilen. „Der Projekteinkauf ist wie ein lebendiger Organismus“, sagt der Maschinenbauingenieur. „Wir versuchen, so viel wie möglich vorab zu planen, und müssen zugleich möglichst flexibel auf die Anforderungen des Projektes reagieren.“
Entscheidungen möglichst spät treffen
Frühe Planung, schnelle Umsetzung: eine passende Beschreibung für die Besonderheiten des Projekteinkaufs. „Wir haben damit die 18 Warenklassenteams ergänzt, die jeweils bestimmte Produktgruppen für den Konzern einkaufsstrategisch betreuen, und übernehmen sämtliche Querschnittsaufgaben rund um das Thema Einkauf bei Projekten, die einen Wert von mehr als 100 Millionen Euro haben oder die wir im Ausland abwickeln“, sagt Bernhard Kollmuss, der den Projekteinkauf von Burghausen aus leitet und der Chef von Stefan Bahn ist.
Ein wichtiger Grund, die Einkaufsprozesse zu ergänzen und vor allem projektspezifischer abzuwickeln, liegt darin, dass WACKER in den vergangenen Jahren in Deutschland und an den internationalen Standorten überdurchschnittlich viele neue Anlagen gebaut hat. „Unsere Investitionen machen 20 bis 25 Prozent unseres Konzernumsatzes aus. Bei so hohen Summen können wir viel Geld sparen und zugleich die komplexen Projekte besser steuern“, sagt der Verfahrensingenieur. Seine interdisziplinär besetzten und international erfahrenen Einkaufsteams kennen neben den Produkten die Bedürfnisse und Vorgehensweise bei Projekten besonders gut. Diese Nähe zum jeweiligen Projekt ist wichtig, um die „Time to Market“, die Zeit zwischen der Entscheidung für den Bau einer Anlage und ihrer Inbetriebnahme, besser ausnutzen zu können. „Wir haben gerade in der Krise gesehen, wie wichtig es ist, in sehr volatilen Zeiten Entscheidungen erst recht spät treffen zu können“, erklärt der zweifache Vater, der schon mehrere Jahre für WACKER in Singapur bei der Siltronic AG arbeitete und viel Projekterfahrung sammelte.
Lokales Know-how finden und nutzen
Kollmuss’ Projekteinkäufer arbeiten allein oder in kleinen Gruppen mit Einkäufern aus Deutschland und leiten parallel lokale Einkaufsteams. In China etwa sind es rund 20 Mitarbeiter, ohne die viele Entscheidungen deutlich schwieriger geworden wären. „Die einheimischen Kollegen haben enorm viel Know-how, das wir sehr zu schätzen wissen. Es ist sehr wichtig, gerade in China die unterschiedlichen Zulieferer zu kennen und bewerten zu können, weil die Märkte doch anders funktionieren als bei uns“, sagt Bernhard Kollmuss. Die Mentalitätsunterschiede sind groß, die Zusammenarbeit mit den lokalen Unternehmen noch nicht so erprobt. Ein Beispiel: Während in Deutschland große Anlagen schon in vormontierten Stücken angeliefert werden, arbeiten die chinesischen Firmen eher nach dem Werkstattprinzip. Sie bauen aus Einzelteilen auf der Baustelle die Baugruppen zusammen. „Auch die Kommunikation läuft anders, es wird mehr nachverhandelt“, sagt Kollmuss. Die Lieferzeiten sind nicht so sicher, die Einkäufer müssen zusammen mit den Technikern die Zulieferer während der Fertigung öfter besuchen, um die gewünschte Lieferqualität tatsächlich geliefert zu bekommen.
Know-how im Ausland schützen
Bei der Zusammenarbeit mit den Firmen, die den Bau der Anlagen im Auftrag von WACKER planen, hilft ebenfalls der Projekteinkauf. „Die komplette Konstruktion überlassen wir unseren erfahrenen Partnern, aber wir müssen auch unser Know-how auf ausländischen Märkten schützen. Deswegen kümmern wir uns um essentielle Bauteile wie Reaktoren, Verdichter und Prozesssteuerungsanlagen selbst.“ Die Einkäufer beschaffen sie in Europa, nicht selten in Deutschland. Auf dem Papier stellen sie zwar nur wenige Bestellposten dar, ihr Anteil am Beschaffungsvolumen liegt jedoch je nach Technologie bei stattlichen 25 Prozent.
Die Erfahrungen, die WACKER zum Beispiel in China gesammelt hat, werden in künftige Projekte einfließen. Eine große Herausforderung steht schon fest: Bernhard Kollmuss und sein Team werden in den USA aktiv, erzählt der Einkäufer. „WACKER baut in Tennessee auf der grünen Wiese die erste Polysiliciumproduktion außerhalb Deutschlands. Das ist für uns ein tolles Projekt, auf das sich schon alle freuen.“
Steckbrief
Steigende Investitionen in aller Welt: Für WACKER
wird der Projekteinkauf immer wichtiger.
Hohe Bestellwerte
Im Projekteinkauf werden zwar weniger Einzelbestellungen als im Technischen Einkauf ausgelöst. Diese haben aber einen deutlich höheren Wert.
Projekteinkauf weltweit
Der Projekteinkauf ist weltweit aktiv. WACKER investiert ständig in neue Anlagen. In den vergangenen Jahren stiegen die Investitionen in Sachanlagen im Verhältnis zum Umsatz stark an.
Projektpipeline bei WACKER 2010 (Anzahl)
Jedes neue Projekt durchläuft verschiedene Phasen. Angefangen von den ersten Machbarkeitsstudien über den Bau bis hin zur Nachbereitung. Diese Grafik zeigt die Anzahl der Großprojekte bei WACKER an und die Umsetzungsstadien, in denen sie sich befinden.